Fachperson – Kariesproblematik hat sich von den Kindern zu den hochbetagten verschoben

Prof. Dr. Martin Schimmel ist Extraordinarius und Leiter der Abteilung für Gerodontologie der Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern (zmk bern). Ausserdem hält er den Lehrauftrag für abnehmbare- und Defektprothetik. Nebenberuflich ist er in diversen nationalen und internationalen Fachgesellschaften tätig.


Text: Claudia Uebelmann

Was genau darf man sich unter dem Begriff «Gerodontologie» vorstellen?
Gerodontologie ist ein Kunstwort, das sich aus dem Wort Gero (Alter), Odont (Zahn) und Logie (Lehre) zusammensetzt. Sinngemäss übersetzt heisst das Alterszahnmedizin. Wir verstehen darunter die präventive zahnärztliche und rekonstruktive Betreuung von Menschen unter besonderer Berücksichtigung ihres Alters und allgemeinmedizinischen Zustandes.

Aus welchem Grund liessen Sie sich auf die «Alterszahnmedizin» spezialisieren?
Ausgebildet bin ich ja in der zahnärztlichen Prothetik und lehre dieses Fach auch mit grosser Begeisterung. Gerade die abnehmbare Prothetik fasziniert mich, vor allem die neuen CAD/CAM Anwendungen, die jetzt auch hier entwickelt werden. Formal gibt es in der Schweiz keine Spezialisierung zum Gerodontologen. Aber es gab tatsächlich zwei bestimmte Momente in meinem Leben, die mich diesem Gebiet entscheidend näher gebracht haben: Zum einen musste ich 2010 Vortrag für die IADH in Ghent vorbereiten. Dafür beschäftigte ich mich mit gesundheitspolitischen Aspekten der zahnärztlichen Betreuung alter Menschen und merkte, wie viel verstecktes Leid es in unserer Gesellschaft gibt und einfach weggeschaut wird. Man will es nicht sehen oder man denkt, es wäre zu teuer, diese Probleme anzupacken. Seit dem möchte ich darauf aufmerksam machen und helfen die Situation der Menschen zu verbessern. Zum anderen stand nach einiger Zeit die Entscheidung an, zu welchem Thema ich habilitieren wollte. Damals hatte ich in etwa gleich viele Paper zur abnehmbaren Prothetik wie zu dem Gero-Thema oro-faziale Einschränkungen bei Schlaganfallpatienten. Ich habe mich für Letzteres entschieden, weil es mich einfach begeisterte.

Weshalb ist es so wichtig, dass die «Alterszahnmedizin» immer bedeutender in unserer Gesellschaft wird?
Ich will nicht mit demographischen Zahlen langweilen – aber es wird von der OECD geschätzt, dass knapp 20% der Schweizer im Jahr 2050 über 80 Jahre alt sein wird. Jetzt kann sich ja jeder ausrechnen, was das an absoluten Zahlen bedeutet. Das eine sind statistische Projektionen. Aber gehen Sie doch einmal mit offenen Augen durch die Innenstädte – sehen sie mehr Kinder oder mehr Menschen mit weissem Haar? Sprechen Sie doch einmal mit älteren Kollegen, wie sich das Arbeits- und Patientenprofil in den letzten 20 Jahren verändert hat.

Wir sind schon mitten drin in der grundlegenden demographischen Veränderung der Gesellschaft, und das Phänomen ist schon längst in der Praxis angekommen. In den zmk bern übrigens auch. Ich bin mir recht sicher, dass unsere Assistenten bereits überwiegend «Gerodontologie» praktizieren. Es ist ja inzwischen ganz normal, so viele und so alte Menschen zu behandeln. Und das wird in Zukunft noch weiter zunehmen.


Welche Bedeutung hat für Sie die «Aktion Zahnfreundlich» sowie das «Zahnmännchen»?
Die Karieslast in der Schweiz hat sich verschoben, heute sind weniger Kinder und mehr alte und vor allem sehr alte Menschen davon betroffen als früher. Die Verbesserung bei den Kindern wurde unter anderem dank der Prävention mit Fluoriden und der Schulzahnpflege erreicht. Heute sieht man viele ältere Patienten, die noch die eigenen Zähne haben, aber an Zahnhalskaries leiden. Die Patienten sind im Alter oft nicht mehr in der
Lage ihre Mundhygiene aufrecht zu erhalten und in Pflegeplänen wird die Mundpflege oft nicht ausreichend berücksichtigt. Leider ist oft zu beobachten, dass bei Patienten, die pflegebedürftig werden, ein mehr oder weniger intaktes Gebiss innerhalb von Wochen bis Monaten zahlreiche kariöse Läsionen aufweisen kann und umfangreiche Extraktionen notwendig werden. Zahnerhaltung ist besser als Extraktion – daher ist der Schlüssel auch in der Gerodontologie die Verbesserung der Mundhygiene und weiterer oralprophylaktisch wirksamer Massnahmen. Ich freue mich, dass die so überaus erfolgreiche und positive Aktion Zahnfreundlich sich auch dieses Themas annehmen will und die Schweizerischen Erfolgsgeschichte in der Prophylaxe nun auch bei den älteren Mitbürgern wiederholen helfen möchte.

Die Aktion Zahnfreundlich bedankt sich herzlich bei Prof. Dr. Martin Schimmel für das Gespräch. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg auf dem privaten sowie beruflichen Weg.

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